Liebes Kind (German Edition) by Hausmann Romy

Liebes Kind (German Edition) by Hausmann Romy

Autor:Hausmann, Romy [Hausmann, Romy]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
veröffentlicht: 2019-02-27T23:00:00+00:00


Jasmin

Wäschekommode, zweite Schublade von oben. Ich sitze immer noch auf der Matratze und beobachte, wie Kirsten das richtige Paar Socken erst befühlt und schließlich entrollt. Ich betrachte ihr Gesicht. Ihre sonst so klaren, jetzt trüben Augen, ihre Lippen, die dünn und verzogen wirken. Mit zittrigen Fingern hat sie die Glasscherbe, an der in braun eingetrockneten Schlieren noch Blut klebt, aus dem Sockenknäuel herausgezogen.

»Ist das …?«

»Das ist das Teil der Schneekugel, das die Polizei nicht gefunden hat.«

»Wieso hast du es aus der Hütte mitgenommen? Doch nicht etwa als Souvenir?«

Ich schüttele den Kopf.

»Hannah hat es mir gegeben. Im Krankenhaus. Der behandelnde Arzt hatte mir ein Beruhigungsmittel gespritzt und ich war schon ziemlich weggetreten. Da kam Hannah in mein Zimmer und drückte mir die Scherbe in die Hand. Sie sagte: Ich hab mir alles ganz genau gemerkt . Als ich aufwachte, dachte ich erst, ich hätte geträumt. Aber dann merkte ich, dass ich die Scherbe umklammert hielt.«

»Aber wieso hat sie sie dir gegeben?«

»Das konnte ich mir zuerst auch nicht erklären. Aber jetzt, nach diesem Brief, glaube ich, dass sie mich an meine Schuld erinnern wollte.«

Ich denke mich zurück in den Krankenwagen, an das seltsame Gefühl, das mich überkam, als ich die Stimme hörte. Sie heißt Lena , hatte sie gesagt, die Stimme, die, wie ich da noch glaubte, nicht real sein konnte, vom Beruhigungsmittel oder vom Schock kommen musste. Das seltsame Gefühl, später noch verstärkt, als ich von »Cham« und »München« erfuhr, dass Hannah tatsächlich im Krankenwagen mitgefahren war, jetzt und hier im Krankenhaus war, wahrscheinlich nur ein paar Zimmer, höchstens ein Stockwerk von mir entfernt. Das seltsame Gefühl, dass irgendetwas daran nicht stimmte. Hannah hätte die Hütte doch niemals verlassen. Dabei hatte ich sie sogar angeschrien, nur ein paar Stunden zuvor. Beide hatte ich sie angeschrien, mir zu folgen. Nun macht schon, Kinder! Los! Aber sie kamen nicht. Jonathan kniete leise wimmernd neben dem reglosen Körper auf dem Boden. Hannah stand daneben und starrte mich ungläubig an. Gerade hatte ich ihren Vater niedergeschlagen, mit voller Wucht, mit einem archaischen Schrei, mit der Schneekugel.

»Sie geben mir die Schuld am Tod ihres Vaters.«

»Jassy, es sind kleine Kinder.«

»Hannah ist schon dreizehn, Jonathan elf.«

»Es sind Kinder.«

»Die Scherbe ist ein Zeichen.«

»Ich bitte dich.«

»Und der Brief war als Erinnerung gedacht. Ich soll nicht vergessen, was ich ihnen angetan habe. Sie wollten mich für immer und immer und immer als ihre Mutter behalten. Und ich habe für immer und immer und immer alles kaputt gemacht.« Ich senke meine Stimme zu einem Flüstern. »Sie hat sich alles ganz genau gemerkt.«

»Jassy, der Brief hat nicht mal einen Absender. Der muss direkt in deinen Briefkasten eingeworfen worden sein. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass zwei Kinder, die in einer psychiatrischen Einrichtung betreut werden, Ausgang bekommen, um durch Regensburg zu streunen und Briefe zu verteilen.« Sie dreht das blutverschmierte Glasstück in spitzen Fingern. »Warum hast du das nicht der Polizei gegeben?«

»Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich wollte einfach nicht noch mehr erklären müssen. Also habe ich die Scherbe in der Ritze



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